Alejandra Tomei

Inhalt

Als Hexe – sowohl männlich als auch weiblich – wird jemand genannt, der angeblich mit bestimmten übersinnlichen Fähigkeiten oder besonderen Kräften ausgestattet ist. Ebenso bezeichnen Menschen eine Frau als Hexe – übrigens in diesem Kontext niemals einen Mann –, die keine dieser Fähigkeiten besitzt, aber durch bestimmte Eigenschaften Vorurteile weckt. Im Laufe der Zeit jedoch verlor das Wort immer mehr seine bösartige Bedeutung, und vielen dieser so genannten Hexen – Alex, die Protagonistin dieser Geschichte, ist nicht die einzige – wurden neue Attribute zugeschrieben, bis hin zur Weisheit. Sucht man aber nach der wahren Bedeutung des Begriffs, so wird einem ganz schwindlig, und am Ende hat man viel gelesen, aber wenig verstanden.  

Die Handlung spielt in den Zwanzigerjahren des 21. Jahrhunderts. Die Gesellschaft glaubt, sich der Widersprüche der Gegenwart bewusst zu sein. Zum ersten Mal wird das Recht auf öffentliche Meinungsäußerung wahrgenommen. Viele glauben, die Wahrheit über unsere Realität zu kennen, ganz gleich, über welches Thema wir sprechen: sei es die Geschlechteridentität, das Klima oder das Wiederaufleben des Faschismus. Wenn auch nur in virtueller Form, so wird doch die massive Meinungswiedergabe – ungeachtet, ob richtig oder falsch – als täglicher Informationsfluss kundgetan und zugelassen. Ob Wahrheit oder Lüge, sie manipuliert unser Denken und wirbelt das, was wir für die wahre und richtige Realität halten, völlig durcheinander. Nach und nach werden wir in dem Glauben gelassen, wir leben in einer Illusion. Eine Illusion, in der sich jeder seine eigene Realitätsblase schaffen und darin nach Belieben eintauchen und glücklich sein kann, auch wenn außerhalb dieser Blase die Welt in der Apokalypse versinkt. Sollte diese Aussage übertrieben klingen, darf man nicht vergessen, dass die Apokalypse als sozialer Albtraum für viele Bewohner des Planeten Erde mittlerweile zur Realität geworden ist und an die sie sich gewöhnt haben. 

Die Erzählung in den Büchern dieser bestimmten Hexe konzentriert sich auf die Protagonistin und ihre Erfahrungen. Sie ist eine Frau, die zwischen zwei Jahrtausenden lebt und ihren Idealen seit den Achtzigerjahren treu geblieben ist. Doch 2019, im Alter von zweiundfünfzig Jahren, macht die Hauptfigur aufgrund einer existenziellen Krise und ihrer Umgebung eine neue persönliche Entwicklung durch. Trotzdem lernt der Leser in diesen Büchern keine zaubertricks, auch wenn sie an manchen Stellen auf bestimmte Details eingeht. Ist der Leser jedoch scharfsinnig oder fähig, abstrakten Gedanken zu folgen, könnte er verstehen, was die Protagonistin meint und wie es funktioniert. In diesem Fall könnte er am Beispiel dieser Lektüre, diese eigene magische Realität des menschlichen Wesens – des menschlichen weiblichen Wesens – ausprobieren. Aber Vorsicht, die Bücher der Hexe enthalten keine großen Wahrheiten. In der Tat gibt es weit mehr Fragen als Antworten, und Alex kann auch nicht sagen, was dieses Ding ist, das wir die „menschliche Existenz“ nennen.

Sie greift sogar auf die Wissenschaft zurück. Denn sie ist es, die der Protagonistin zu Anfang das Dilemma vor Augen hält, dass wir Menschen glauben, durch komplexe Erklärungen die extreme Einfachheit der Materie zu verstehen, die uns jedoch paradoxerweise nicht einfach erscheint. Zum Glück ist Alex keine Wissenschaftlerin, auch wenn sie bei ihrem Besuch im CERN und mithilfe der alten Bücher vieles gelernt hat. Sie ist, wie bereits erklärt, eine Künstlerin, die zwar die Wissenschaft respektiert, aber nicht daran interessiert ist, wie manch ein Ingenieur. Mit diesem Wissen erklärt sie, was sie genau tut und warum es funktioniert, ganz nach dem Motto, jede Hexe hat ihren eigenen Stil und ihre eigene Schule. In diesem Fall sind ihre Zaubersprüche mächtige Heilmittel für ihre Männer, die der Leser im Laufe der Geschichte kennenlernt. Zwischen Berlin, Basel und Buckley entsteht ein magisches Dreieck. Darin erleben die Hauptfiguren Synchronizitäten, die sie wie Marionetten in einer verflochtenen Realität oder, wissenschaftlich gesprochen, in einer unlösbaren Quantenverschränkung verbinden und bewegen. Eine neue Geschichte einer Dreiecksbeziehung, die, wie das Möbiusband der Liebe, von ihrer Zeit erzählt. Irgendwann bricht eine Pandemie aus, und was zwischen den Zeilen übrig bleibt, zusammen mit dem Rest, wird zur Literatur.